Abgeschiedenheit, Scham und Überleben: was wir von Menschen lernen können, die Anti-Ligatur-Kleidung tragen mussten

Abgeschiedenheit, Scham und Überleben:
was wir von Menschen lernen können, die Anti-Ligatur-Kleidung tragen mussten
Ein ehrlicher Erfahrungsbericht über Isolation, Verlust von Würde - und wie Kleidung dabei helfen kann, Sicherheit neu zu definieren
In psychiatrischen Kliniken, geschlossenen Pflegeeinrichtungen oder Justizvollzugsanstalten wird Anti-Ligatur-Kleidung eingesetzt, um Menschen in psychischen Ausnahmesituationen vor sich selbst zu schützen. Diese Kleidung soll verhindern, dass sich Patientinnen und Patienten oder Inhaftierte mit ihrer Kleidung verletzen oder suizidale Handlungen begehen. Sie ist daher robust konstruiert, reißfest, schwer zu manipulieren und möglichst sicher.
Was dabei jedoch häufig aus dem Blick gerät: diese Kleidung wird von Menschen getragen. Von Menschen, die sich in extrem verletzlichen, verzweifelten und oftmals schambesetzten Lebenssituationen befinden. Kleidung, die den Körper schützen soll, darf nicht gleichzeitig Würde und Selbstwertgefühl zerstören. Doch genau das geschieht häufig – nicht aus bösem Willen, sondern aus fehlender Sensibilität dafür, was Kleidung in solchen Kontexten für den Einzelnen bedeutet.
Dieser Beitrag gibt einer Stimme Raum, die genau das über Jahre hinweg selbst erlebt hat: Isolation, Fixierung, geschlossene Einrichtungen, psychiatrische Akutstationen, Justizvollzug. Die persönlichen Erfahrungen dieser Betroffenen zeigen eindrucksvoll, wie sehr Kleidung in solchen Ausnahmezuständen nicht nur Schutz bieten, sondern auch zur Belastung werden kann. Und sie zeigen, wie dringend es ist, neu über diese Kleidung nachzudenken - nicht nur funktional, sondern menschlich.
Warum Sicherheit nicht auf Kosten der Würde gehen darf
""Genesung findet nicht im Krankenhaus oder im System statt – sie geschieht in uns selbst", schreibt sie. "Anti-Ligatur-Kleidung sollte ein Heil- und Schutzmittel sein, nicht ein Herrschaftsinstrument – und immer mit, nie gegen die Betroffenen."
Die Grundidee von Anti-Ligatur-Kleidung ist sinnvoll und lebensrettend. Doch Kleidung, die Sicherheit gewährleisten soll, darf nicht gleichzeitig Gefühle von Scham, Entwürdigung oder Hilflosigkeit verstärken. Zu oft wird Kleidung rein funktional betrachtet, als Werkzeug, als Maßnahme, als Standard. Aber sie ist immer auch ein Teil des Menschen, der sie trägt. Kleidung schützt nicht nur vor äußeren Einwirkungen, sondern auch das eigene Ich, das eigene Empfinden von Selbstachtung und Würde.
Komfort, Auswahlmöglichkeiten, eine angemessene Passform - all das sind keine nebensächlichen Wünsche, sondern wesentliche Bestandteile eines respektvollen Umgangs. Sie sind Ausdruck von Achtsamkeit gegenüber der psychischen und physischen Integrität der Betroffenen.
Wenn Kleidung bloßstellt statt schützt
"Ich trug Kleidung, die mir nie passte. Im Gefängnis bekam ich nur einen offenen Kittel. Viele hatten den Klettverschluss bereits aufgerissen. Ich lief herum und musste ihn selbst geschlossen halten."
Schlecht sitzende Kleidung, beschädigte Verschlüsse, fehlende Ersatzkleidung - all das verstärkt nicht nur Schamgefühle, sondern auch Ohnmacht und das Empfinden, den eigenen Körper nicht einmal mehr selbst schützen zu können. Kleidung, die nicht zuverlässig sitzt oder ständig mit der Hand geschlossen werden muss, macht aus einem ohnehin belastenden Moment eine zusätzliche Demütigung.
"Das lag alles daran, dass es nicht genug Ersatzkleidung gab."
Hier zeigt sich ein strukturelles Problem: mangelnde Ressourcen, fehlende Abläufe, ungenügende Planung führen dazu, dass Menschen in ohnehin extrem verletzlichen Situationen zusätzlich unnötig leiden.
Komfort ist keine Kür – sondern Voraussetzung für Stabilisierung
"Diese Kleidung ist nie auf Komfort ausgelegt, weil sie es angeblich nicht sein muss. Aber das entspricht nicht der Realität."
Wenn Kleidung über viele Stunden oder gar Tage getragen wird, machen unbequeme Materialien, grobe Nähte, starre oder schwere Stoffe aus einem funktionalen Hilfsmittel eine Tortur. In Hochrisikosituationen ist der Mangel an Komfort nicht nur unangenehm, sondern kann selbst zum Trigger werden – als weiteres Gefühl von Bestrafung, Entwürdigung oder als Verstärker für Hoffnungslosigkeit.
"An manchen Tagen habe ich nur durchgehalten, weil der Stoff nicht auch noch gegen mich gearbeitet hat."
Leichtere, einlagige Materialien wie bei STRONGTEX zeigen, dass es Alternativen gibt. Weniger Gewicht, weniger Nähte, mehr Flexibilität - das klingt nach Kleinigkeiten. Doch in der täglichen Realität von Isolation, geschlossener Unterbringung oder suizidpräventiven Maßnahmen sind es genau diese Details, die einen Unterschied machen: für das Wohlbefinden, für die Selbstwahrnehmung, für das Gefühl, zumindest in diesem Punkt respektiert und gesehen zu werden.
Würde beginnt im Detail
"Ich war von etwas bedeckt, das ich nur als Decke mit Klettverschluss beschreiben kann."
Privatsphäre, Sittsamkeit, das Gefühl von Bedecktheit sind keine Nebensächlichkeiten. Gerade in Krisen, in Angst und Unsicherheit, sind es vermeintlich kleine Dinge wie der feste Verschluss eines Kittels, die Halt geben können. Kleidung darf nicht bloßstellen. Kleidung soll schützen - auch das eigene Körpergefühl.
"Ich stahl Reißzwecken von Pinnwänden, nicht um mich zu verletzen, sondern um meinen Kittel zu schließen. Damit mein nackter Körper verborgen blieb."
Wer so etwas erlebt hat, weiß, wie tief der Zusammenhang zwischen Kleidung und Würde tatsächlich reicht.
Sensorische Aspekte beeinflussen emotionale Sicherheit
"Manche Texturen fühlen sich einfach körperlich unangenehm an. Wir alle mögen Kleidung, die uns an Geborgenheit erinnert - an eine Zeit, bevor wir hinter verschlossenen Türen waren."
Materialien, Texturen, das Gefühl auf der Haut - sie beeinflussen mehr, als wir denken. In Extremsituationen, in psychischer Überforderung oder nach traumatischen Erlebnissen kann eine raue, harte Oberfläche den Stress verstärken, während ein vertrauter, weicher Stoff beruhigt. Wer traumainformierte Pflege ernst meint, sollte auch diese Aspekte bedenken.
Anti-Ligatur-Kleidung kann auch ein Schutzraum sein, wenn sie freiwillig gewählt wird
"Ich habe meine Kleidung nie zurückverlangt, weil ich Angst hatte, dass eine impulsive Entscheidung mein Leben beendet."
Nicht immer wird Anti-Ligatur-Kleidung aufgezwungen. Manchmal wird sie bewusst gewählt, als letzte Möglichkeit, sich vor sich selbst zu schützen. Diese Entscheidungen verdienen Respekt. Sie zeigen, wie Kleidung auch Teil einer individuellen Sicherheitsstrategie sein kann, wenn sie nicht stigmatisiert, sondern als Ressource anerkannt wird.
"Anti-Ligatur-Kleidung kann eine Entscheidung sein - und daran ist nichts auszusetzen."
Von Betroffenen lernen: besser geht immer
"Die Hose gefiel mir trotz ihres Gewichts im Krankenhaus. Das Oberteil im Polizeigewahrsam gefiel mir wegen der Passform. Der Kittel im Gefängnis, weil das Material leicht war."
Diese Aussagen zeigen: gute Lösungen gibt es - aber selten in einem Produkt vereint. Wer den Menschen zuhört, die diese Kleidung tragen mussten, kann lernen. Sicher, bequem, würdevoll, funktional - das muss kein Widerspruch sein. Im Gegenteil: es sollte Standard sein.
Schulung als Schlüssel zu respektvollem Umgang
"Das Personal könnte besser geschult werden, Anti-Ligatur-Kleidung respektvoll und traumainformiert einzusetzen."
Nicht nur die Produkte selbst, auch der Umgang damit entscheidet. Gute Schulung, Sensibilisierung, Achtsamkeit machen den Unterschied zwischen retraumatisierender Routine und schützender Fürsorge.
Fazit: Sicherheit beginnt beim Zuhören
Dieser Erfahrungsbericht zeigt deutlich: es geht nicht nur darum, Schaden zu verhindern. Es geht um Heilung, um Würde, um Respekt. Gute Kleidung schützt. Bessere Kleidung unterstützt. Die beste Kleidung hilft, sich sicher zu fühlen - nicht nur vor sich selbst, sondern auch in der eigenen Haut.
Dafür braucht es Empathie. Zuhören. Nachdenken. Und Handeln.
Fragen für Ihre Einrichtung:
- Unterstützt Ihre Kleidung sowohl Sicherheit als auch Würde?
- Haben Sie Ersatzsysteme für beschädigte Kleidung?
- Sind Ihre Mitarbeitenden im traumainformierten Umgang mit dieser Kleidung geschult?
Schon kleine Veränderungen können für die Menschen in Ihrer Obhut einen großen Unterschied machen.
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15.7.2025